Krippe mit Hirten und beflaggten Königen
Jenseits der Touristenrouten, am Rand der Florentiner Altstadt gelegen, beherbergt die kleine Kirche Santa Lucia al Prato eine auf das späte 15. Jahrhundert datierte ‚Anbetung der Hirten’.
Diese Altartafel gehört sicherlich nicht zu den künstlerischen Meisterwerken dieser an Meisterwerken reichen Stadt, strahlt aber ihre eigene und besondere Faszination aus.
Ghirlandaios Hirten
Das Bild wirkt auf den ersten Blick wie eine relativ getreue Kopie der vielleicht berühmtesten Florentiner Hirtenanbetung: dem Werk, das der Michelangelo-Lehrer Ghirlandaio für die Sassetti-Kapelle in Santa Trinita geschaffen hat.
Eine anonyme Tafel aus dem Ghirlandaio-Umfeld, so hieß es; Werk eines Malers, der seinen Notnamen eben von diesem Werk bezog: der ‘Meister von Santa Lucia al Prato’. Es ist noch nicht lange her, dass – basierend auf einer artikulierten Indizienkette – die Altartafel dem deutschen, lange Zeit in Florenz ansässigen Maler und Kunsthändler Alexander Formoser zugeschrieben worden ist, von dem wir allerdings keine gesicherten Werke kennen.
Nordische Anklänge
Seit es überhaupt eine ernsthafte kunsthistorische Auseinandersetzung mit dem Bild gibt, ist wahrgenommen worden, dass die künstlerisch sehr ungleichmäßige Altartafel, sich neben ihrer Orientierung an Ghirlandaio durch enge Bezüge zum nordeuropäischen Kulturkreis auszeichnet.
In diese Richtung weisen stilistische Elemente. die besonders in der Darstellung der Hirten in der etwas trockenen Charakterisierung ihrer Gesichter, dem vereinfachten, fast holzschnittartigen Faltenwurf ihrer Gewänder greifbar sind wie aber auch in der suggestiven, blauschimmernden Hintergrunds-Landschaft.
Holzschuhe und Enten
Daneben gibt es ikonographische Auffälligkeiten.
Der Maler hat fast alle Hinweise auf die gelehrte Verbindung zwischen christlicher und heidnischer Welt, die die Geburt Christi bei Ghirlandaio auszeichnen, beseitigt. Sie reduzieren sich bei ihm auf die Pilaster, die das löchrige Hüttendach tragen und die Identifizierung der Krippe als mit einem Aasschädel verzierten Sarkophag.
Hingegen hat er seine Version um Elemente wie die überraschend hinter dem Sattel Josephs hervorlugenden Holzschuhe bereichert und – wie bei einer kürzlich durchgeführten Restaurierung erkennbar wurde – den rechten der Hirten nicht nur, wie bei Ghirlandaio, mit einem Eier-Korb ausgestattet, sondern ihm auch eine – noch schemenhaft erkennbare – Ente unter den Arm geklemmt.
Hier geht es um Genre-Elemente, die nicht nur bei Ghirlandaio fehlen, sondern die schlichtweg nicht Teil der italienischen Bildtradition sind.
Könige im Anmarsch
Zu diesen Auffälligkeiten gehört auch, wie der Maler die Prozession behandelt, die – ganz wie bei Ghirlandaio – auf der linken Bildseite im Hintergrund sichtbar wird.
Es handelt sich um den Zug der heiligen drei Könige, die – Jerusalem hinter sich gelassen (in unserer Altartafel entsprechend einer nordischen Tradition durch die Zwiebelkuppel des Tempels versinnbildlicht) – in drei Gruppen aufgeteilt, sich nunmehr Bethlehem nähern.
Im Bild von Santa Lucia sind sie auf weitere Distanz gehalten als in der Vorlage, der antike Triumphbogen ist zu einem schlichten Hoftor geworden und die drei Grüppchen sind durch Standarten gekennzeichnet, die steil in den Himmel emporragen.
Zwei sind gut zu identifizieren, auf die dritte lässt sich schliessen: vorneweg eine blaue Flagge mit einer Mondsichel und einem Stern, gefolgt von einer ebenfalls blauen, mit Sternen übersäten Standarte und am Ende eine hellere Flagge, auf der ein farbiger Standartenträger dargestellt sein dürfte. Verantwortlich für dieses Motiv ist eine dezidiert nordeuropäische Tradition: die Feldzeichen der drei Könige.
Wappen und Standarten
Das diese so etwas aufzuweisen hatten, ist eine bezeichnende Ausgeburt des wappenverliebten mittelalterlichen Europas, in dem hohe Herren – inklusive verstorbener – ohne Wappen und Standarten undenkbar erscheinen mussten.
Der Ort, an dem man besonderen Grund hatte sich zu diesem Thema Gedanken zu machen war das ‚heilige‘ Köln, das Rom des Nordens, hatten doch dort die von Friedrich I. den Mailändern als Kriegsbeute entrissenen Reliquien der heiligen Männer 1164 ihr neues Zuhause gefunden.
Fast ebenso erfolgreich wie die Ursulareliquien exportiert, finden sich die Feldzeichen der Könige nicht nur auf einer Unzahl von deutschen, holländischen, flämischen Altartafeln, sondern lassen sich auch in heraldischen Sammlungen mit (wechselnder) Zuordnung zu den einzelnen Königen finden.
In Italien jedoch keine Spur davon.
Wenn der Maler mit Formoser zu identifizieren ist, geht es bei dem Autor des Bildes um eine Persönlichkeit, die in dem Zeitraum, in dem dessen Entstehung gemeinhin angesiedelt wird, seit gut zwanzig Jahren Florenz frequentierte und über seine Vermittlerrollen zwischen hochkarätigen Kunstinteressenten und den bedeutendsten Florentiner Künstlern der Zeit, die Florentiner Kunstszene und ihre Interessen bestens kannte.
Gerade deshalb wäre es verlockend, zu überlegen, ob das Werk seine nordeuropäischen Bildmotive nicht eher den spezifischen Bedürfnissen des – unbekannten – Auftraggebers zu verdanken hat, als der bleibenden Prägung des Künstlers durch in seiner Ausbildungszeit verankerte Bildkonventionen.
Nicht zu vergessen ist, dass es mit der Altartafel von Santa Trinita eine berühmte lokale Bildvorlage gab, ein Modell geradezu, in das der Künstler verschiedene, einem nordischen Publikum vertraute, für ein florentinisches Publikum aber exotisch wirkende Elemente integrierte.
Wenn es nicht um Exotismus gehen sollte, so wäre ein naheliegender Auftraggeber unter den in Florenz beheimateten Bruderschaften nordeuropaeischer Handwerker und Künstler zu suchen, ein Publikum eben, das gerade in dieser Symbolsprache Vertrautes wiederfinden konnte.(M. Feldmann)