Täglich fahr ich mit Pietro, ein Gedicht von Otto Bierbaum
Täglich fahr ich mit Pietro,
Meinem wohlbeleibten Kutscher
(Und mit seinem Pferdchen Palle,
Welches auch nicht mager ist),
Täglich nachmittags um dreie
Fahr ich auf der alten Straße,
Die sehr steil ist und sehr holprig,
Erst nach San Domenico
Und sodann, vorbei der Villa,
Wo Herr Dante einst verliebt war,
Zwischen hohen Gartenmauern
Nach Florenz. Dort trink ich Tee.
»Wie? Und der Palazzo Pitti?
Accademia? Uffizien?
Bibliotheca Laurenziana?
Hast du nicht nach Schönheit Durst?«
Oh ja. Aber für Museen
Bin ich selten nur in Stimmung;
Denn es sind Konservenbüchsen;
Ihre Schönheit schmeckt nach Blech.
»Wie? Die himmlische Tribuna?
Alessandro Botticelli?
Cimabue? Donatello?«
Alle schmecken dort nach Blech.
Lieber wandre ich durch dunkle
Kirchen mit dem Operngucker
Und verrenke Hals und Kopf mir
Nach der dort verstecken Kunst.
Da nur wirkt sie noch ins Leben,
Thront sie noch auf ihrem Throne,
Frei, gebietend, nicht gefangen:
Atmet aus und atmet ein.
Denn ein Kunstwerk braucht den Atem,
Braucht die Luft des tätigen Lebens;
Seine Schönheit wird zum Schemen,
Sperrt man sie vom Leben ab.
Stünde David noch im Freien,
Dort, wohin ihn schuf sein Schöpfer,
Wohl, er wäre nicht so glänzend
Weiß wie jetzt und »fast wie neu«,
Aber, grau vielleicht und rissig,
Mitgenommen von Frost und Feuchte,
Leidend, wie das Leben immer
Leiden muß, um ganz zu sein:
Stünd er heldenhaft lebendig,
Sterbend stünd er noch lebendiger,
Herrlicher, strahlender da, als jetzt im
Abgemessenen Oberlicht.
»Und verdürbe.« Freilich. Alles
Leben muß einmal verderben.
Aber leben soll es, leben:
Wirklich leben, bis es stirbt.
Denkt nicht immer an die Enkel!
Denkt an euch, wie jene taten,
Die ihr Leben sich verklärten,
Bildner ihrer Gegenwart.
Dann erst hättet ihr ein Recht, sie
In die heiligen Leichenkammern
Eurer Pietät zu stecken,
Brauchtet ihr für Eignes Platz.
Doch genug. Ich geh zu Gilli,
Trinke Tee und esse Kuchen.
Leider bin ich manchmal schwach und
Lese Zeitungen dazu.