Michelangelos Relief der ‚Madonna della Scala‘
Das als ‚Treppenmadonna‘ bekannte Marmorrelief wird in der Casa Buonarroti in Florenz aufbewahrt. Es wird gemeinhin als die älteste erhaltene Skulptur Michelangelos angesehen und mit seiner bildhauerischen Ausbildung in der sagenumwobenen Mediceischen Akademie in Verbindung gebracht. Wir sind in den Jahren 1489 -1492. Das Werk eines 15 – 17-Jährigen.
Im Garten von San Marco
Laut Vasari förderte Lorenzo der Prächtige junge, vielversprechende Bildhauer-Talente, indem er ihnen die Möglichkeit gab, unter der kompetenten Leitung des Bildhauers Bertoldo di Giovanni, Werke der antiken Skulptur zu studieren und sich verschiedene bildhauerische Techniken anzueignen.
Dabei kam auch die große Florentiner Tradition nicht zu kurz: die Treppenmadonna ist in der Tat ein beeindruckendes Beispiel für die Auseinandersetzung des jungen Michelangelo mit Donatellos raffinierter Flachrelief-Technik, dem sogenannten ‚stiacciato’.
Diese Technik zeichnet sich neben der minimalen Tiefe des Reliefs durch die Anwendung von zeichnerischen Strategien aus, um genau im begrenzten plastischen Raum, optisch den Eindruck von räumlicher Tiefe und Plastizität vermitteln zu können.
Zwischen Antike und Donatello
Das Werk des jungen Michelangelo vereint in einer nur ansatzweise definierten architektonischen Szenerie sechs Figuren: bildbeherrschend Maria mit dem Kind nach links gewandt, im Hintergrund ein Putto, der auf der titelgebenden Treppe balanciert, dahinter zwei weitere Kinderfiguren, die in einem Innenraum zu tanzen scheinen und rechts außen eine vierte Figur, die nur skizzenhaft angedeutet ist und die gemeinsam mit dem Kompagnon auf der Treppe – so scheint es – ein Tuch vor einer Mauerfläche drapiert.
Charakteristische Strategien des ‚stiacciato’ werden in den geometrisch-architektonischen Koordinaten, dem quadratischen Block, den Treppenstufen, dem Treppenlauf , wie in der skizzenhafte Anlage und Ausführung der Hintergrundsfiguren, gegenüber der glatten, polierten Oberfläche der beiden Hauptfiguren ausgelotet.
Dynamik und Isolation
Gegenüber der Bewegtheit der Putten und ihrer dynamischen Verkettung, fallen die verhaltenen Gesten, die Ruhe und die psychologische Isolation der Hauptfiguren auf. Maria stützt den schlummernden, muskulösen Säugling auf ihrem Schoss.
Das Kind ist von uns abgewendet, hat den Kopf an die Brust der Mutter gelehnt und ist ganz in dem Kreis geborgen, den Arme und Hände Mariens und die Falten ihres fließenden Umhanges beschreiben. Maria fixiert etwas, das außerhalb des Bildfeldes liegt, nimmt keinerlei Bezug auf die anderen Figuren, während sie mit einer fast unbewusst wirkenden Geste das Gewand über dem Kopf des Kindes richtet.
Vor einer heiter festlichen Folie zeichnet sich eine melancholische, verinnerlichte Realität ab. Das Relief geht weit über technische Aneignung und Auseinandersetzung hinaus. Es ist ein Medium, das eine junge, aber starke Künstlerpersönlichkeit sich zu eigen gemacht hat.
Die Figuren verraten in ihrer Monumentalität und ihrer plastisch definierten Körperlichkeit, Aspekte, die der junge Michelangelo besonders in der römischen Skulptur wahrnahm und die sich hier mit dem delikaten Stiacciato Donatellos und seinem Sinn für skizzenhafte Vitalität zu einem melancholischen Pathos verbinden.
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