Neues Dommuseum
Nach langjährigen Vorarbeiten und über einjähriger Schließung ist im Oktober 2015 das Florentiner Dommuseum in neuer, spektakulärer Gestalt wiedereröffnet worden.
Theaterraum für eine Fassade
Kern der Neugestaltung, für die architektonisch Adolfo Natalini und das Büro Guicciardini/Magni und museologisch der Museums-Direktor Timothy Verdon verantwortlich sind, ist das zum alten Dommuseum hinzugewonnene Volumen des ‚Teatro degli Intrepidi’, eines ehemaligen Theaterbaus, der in der Folge als Lagerhalle und zuletzt als Parkhaus genutzt worden ist.
Mit der Einbeziehung in das Dommuseum haben diese Räumlichkeiten im gewissen Sinn ihre theatralischen Wurzeln wiedergefunden: unter dem hohen Dach des ehemaligen Theaterbaus ist nicht nur die unvollendet gebliebene und im 16. Jahrhundert zerstörte Florentiner Domfassade ‚wiedererstanden’, sondern der gesamte Domvorplatz, das ‚Paradies der Florentiner’, wie dieser grosse Saal auch genannt wird.
Auf einer Seite erhebt sich, die gesamte Länge und Höhe des Raumes (36 x 20 Meter) beanspruchend, die von einer Metallstruktur getragene und in Kunstharz ausgeführte Fassaden-Rekonstruktion. Auf der gegenüberliegenden Seite hingegen befindet sich eine glatte, von rechteckigen Öffnungen durchlöcherte, dreistöckige Marmorwand gleicher Länge und Höhe, die als Raumfilter zu anderen Museumsräumen wirkt, nicht zuletzt aber das romanische Baptisterium vertritt. In den drei größten, mit Glas verschlossenen Öffnungen sind in der Tat die berühmten Bronze-Türen der Taufkirche zu sehen (bis dato die beiden schon restaurierten Türen von Ghiberti) und auf weit in den Raum vorspringenden Platten, die zur Bekrönung der Portale geschaffenen Skulpturen des 16. Jahrhunderts.
Andere Elemente, wie der auf einem modernen Schaft montierte originale Abschluss der Zanobius-Säule und zwei der römischen Sarkophage, die über Jahrhunderte den Raum zwischen Baptisterium und Dom als Begräbnisort charakterisierten, vervollständigen diese Evokation des religiös-zivilen Zentrums der Stadt.
Die Poccetti-Zeichnung
Wie auch im offiziellen Katalog vermerkt wird, ist die ‘Domfassade’ des Dommuseums keine philologisch genaue Rekonstruktion dessen, was zwischen 13. und 15. Jahrhundert entstanden und 1587 in großer Eile abgerissen worden ist. Selbst bei den bemerkenswerten Dimensionen des ehemaligen Theaterraumes war es nicht möglich, die Fassade in ihrer ganzen Breite aufzubauen.
Vor allem aber gibt es noch viele offene Fragen. Die Grundlage der Rekonstruktion bildet, wie bei allen bisherigen ideellen Rekonstruktionsversuchen eine kurz vor der Zerstörung der Fassade entstandene Zeichnung von Bernardo Poccetti. Dank dieser Zeichnung lassen sich die meisten der Skulpturen wenn auch nicht in der genauen Position identifizieren, die sie damals einnahmen, so doch zumindest den verschiedenen Registern zuzuordnen.
In Abstimmung mit anderen Dokumenten, späteren Vermessungen und Bauuntersuchungen bildet sie auch die Basis, um die Masse der einzelnen Architektur- und Dekorationselemente relativ genau zu rekonstruieren. In originalgroßem Maßstab errichtet, liefert die Rekonstruktion den Rahmen, um den im Wesentlichen erhaltenen und nach seiner anfänglichen Zerstreuung zum größten Teil im Dommuseum vereinten Skulpturenschmuck in einen Zusammenhang zu stellen, der eine Gesamtschau erlaubt und die einzelnen Elemente, in Blickwinkeln zeigt, die teilweise für ihre formale Erscheinung selbst bestimmend waren.
Gewinner und Verlierer
Und es ist dieser Aspekt, der der spektakulären Präsentationsform ihren tieferen Sinn gibt: der Charakter von Hochreliefs, den viele der Figuren aufweisen oder Charakteristiken ihrer Oberflächenbehandlung findet eine unmittelbare Erklärung in den Dimensionen der Nischen und den durch die Architektur kanalisierten Blickwinkeln. Um den Besucher eben dieses vergleichende Sehen sowie eine genauere Betrachtung der einzelnen Skulpturen zu erlauben, sind die bedeutendsten der Werke, die ihre Position im zweiten und dritten Register hatten, dort durch Kopien vertreten, während die Originale auf Betrachterhöhe aufgestellt sind. – Unglücklicherweise ist eine entsprechende Lösung bei den hochkarätigen Skulpturen des Baptisteriums nicht möglich gewesen. Die Werke von Sansovino, Rustici und Vincenzo Danti gehören damit sicherlich zu den Verlierern im Neuen Dommuseum.
Michelangelo und Donatello im Dommuseum
Fast in Kontrast zu den eminent öffentlichen Werken des Domplatzes, denen große Dachverglasungen einen gefilterten, von Strahlern flankierten, natürlichen Lichteinfall gewähren, folgen drei kleinere, auf künstliche Beleuchtung vertrauende Räume, die eine räumlich wie psychologisch, intimere Situation evozieren wollen. Unter dem Stichwort der privaten Devotion sind hier neben Reliquienbehältern und kleineren Altartafeln zwei der absoluten Meisterwerke des Museums zu sehen: die ergreifende Magdalena von Donatello und die faszinierende unvollendete Pietà Bandini von Michelangelo. Bei beiden Werken – und das ist bezeichnend für die Museums-Konzeption – wird Wert darauf gelegt, sie, sei es durch ihre Ausrichtung und Beleuchtung, sei es durch ihre räumliche Inszenierung, als Elemente eines kirchlichen Zusammenhanges zu vermitteln. Bei der Magdalena ist es die Ausrichtung auf die Reliquienkapelle, die auf die Kompensation menschlicher Entbehrungen durch göttlichen Glanz verweisen will und bei der Pietà, die Aufstellung auf einer an einen Altar gemahnenden, getreppten Struktur, die in dem herabrutschenden Körper Christi das eucharistische Opfer evozieren möchte.
Die Kuppel und die Sängerkanzeln
Zwei grosse Räume im ersten Stockwerk sind dem Campanile und seinem reichen Skulpturenschmuck (Donatello) sowie der Kuppel Brunelleschis (Modelle und Instrumente) gewidmet. Die Kuppel selber lässt sich im Übrigen in spektakulärer Weise von der Panorama-Terrasse des obersten Stockwerkes bewundern.
Im ersten Stockwerk befinden sich auch die Räume, in denen – immer unter dem Gesichtspunkt der Evokation ihres ursprünglichen räumlich-liturgischen Zusammenhanges – weitere außerordentliche Schätze des Museums aufbewahrt werden: die Sängerkanzeln von Luca della Robbia und Donatello sowie der Silberaltar des Baptisteriums.
Ein vielfältiges, ausgesprochen reiches, aber auch labyrinthisches Museum, dessen Signaletik die Orientierung nicht unbedingt immer erleichtert. Schon hier ein guter Grund, um das neue Dommuseum in qualifizierter Begleitung zu besuchen.