Die letzte Ruhe für Michelangelo
Am 18. Februar 1564 – vor 450 Jahren – starb in Rom, hochbetagt Michelangelo Buonarroti. Ein Mann, der wie kein zweiter die Vorstellung vom künstlerischen Genie geprägt hat. Und ein Künstler, der angesichts seines Ausnahmecharakters, Funktionalisierungen und Mystifizierungen aller Art gekannt hat, nicht zu vergessen die Mythen, die er selber beförderte.
Auch mit seinem Tod fanden die ‚Aneignungen’ kein Ende, im Gegenteil: die Geschichten um die Beerdigung Michelangelos gehören mitten hinein in das große ideologische Spannungsfeld zwischen verlorener Florentiner Republik, dem in Florenz triumphierenden Cosimo I. und der ‚mütterlichen’ Wahlheimat Rom, die zur Folie einer jeden Michelangelo-Vita gehören.
Der Tod in Rom
Glaubt man Vasari, dem Biographen Michelangelos, waren dabei die letzten Wünsche des Meisters recht klar und einfach, empfahl er doch „seine Seele in die Hände Gottes, seinen Körper der Erde und seine Sachen den nächsten Verwandten“.
Die irdischen Dinge nahmen ihren verschlungeren Lauf. Michelangelo war in seinem Haus im Macel de’ Corvi gestorben, in dem er die letzten 30 Jahre seines Lebens verbracht hatte. Anwesend waren nur einige der engsten Freunde, darunter Tommaso Cavallieri und Daniele da Volterra. Zumal Michelangelo Mitglied in der Bruderschaft San Giovanni Decollato gewesen war, dachte dieser Zusammenschluss, seinen statuarischen Verpflichtungen folgend, daran, den Leichnam des Mitbruders am folgenden Tag in die nahegelegene Kirche Santi Apostoli zu überführen. Für kurze Zeit fand er hier seine erste Ruhe. 11 Tage um genau zu sein.
Das ‚erste Grab‘
Im Kreuzgang von Santi Apostoli ist heute ein Grabmal mit einer Michelangelo verblüffend ähnlichen Liegefigur zu sehen, die wohl den 1594 verstorbenen Mediziner Ferdinando Eustachio zeigt, aber durch eine in die Rückwand eingelassene Inschrift, den Eindruck erwecken kann, das erste Grabmal Michelangelos darzustellen. Und als solches wird es auch gemeinhin gehandelt. Während die lateinische Inschrift noch neutral vermerkt, dass der Leichnam nach Florenz ‚überführt’ worden sei, ist auf dem nebenan angebrachten erklärenden, italienischen Text in eher polemischen Ton von ‚Verschleppung’ die Rede.
Und die polemische Variante ist über lange Zeit die offizielle Lesart gewesen. Wie eine Ware verpackt, auf florentinischen Lasteneseln aus der Stadt geschmuggelt, nach Florenz entführt, dem Papst, dem römischen Volk und nicht zuletzt dem großen Toten zum Trotz. Im Hintergrund der Schatten Cosimo’s I. Medici, dessen Einladungen nach Florenz der lebende Michelangelo immer ausgeschlagen hatte.
Die Florentiner Sippe
Erst in jüngerer Zeit hat die Forschung den familiären Bindungen Michelangelos größeres Gewicht gegeben. Nach dem Versterben des langlebigen und – gelinde gesagt – problematischen Vaters, der erst 1534 mit 90 Jahren das Zeitliche segnete und dem Tod der letzten seiner Brüder, war es der Neffe Leonardo, Sohn des Bruders Buonarroto, der zum Zentrum der Florentiner Familie und damit – perspektivisch – zu Michelangelos Haupterben wurde.
Michelangelo’s Interesse an seiner Familie war nicht zuletzt ein genealogisches. Mit einer für eine Person seines Zuschnittes überraschenden Energie strengte Michelangelo Ahnenforschungen an, die die – nicht belegbare – Herkunft der Familie Buonarroti von den Simoni und über diese von der Sippe der Herren von Canossa, ehemaligen Markgrafen der Toskana untermauern sollten. Offenbar drängte es Michelangelo, seine ausserordentliche Persönlichkeit auch mit einem eindrucksvollen Stammbaum in der Geschichte zu verankern. Die Würde, die Dauer, das Weiterleben der Familie werden zu Themen, die einen Mann beschäftigen, der auf der einen Seite sicherlich mehr als jedes andere Familienmitglied für den Ruhm der Familie geleistet hatte, auf der anderen Seite aber offenbar keinerlei Verpflichtungen zu ihrem biologischen Weiterbestehen eingehen wollte. Was auch immer der eigentliche Grund gewesen sein mag: die Augen richteten sich auf Leonardo.
Erwartungen an Leonardo
Leonardo Buonarroti lebte ein längeres Junggesellenleben – nicht ungewöhnlich für einen Florentiner Mann seiner Zeit. Er geht auf die Dreissig zu, in seine Dreißiger hinein. Michelangelo beginnt zu drängen. Er wünscht eine standesgemäße Gattin, will, daß Leonardo an die Errichtung eines würdigen Palastes, an die Zukunft seiner Familie denkt. Er droht sogar mit Enterbung. Die Buonomini von San Martino könnten Adressaten des reichen Erbes sein. Denn Michelangelo ist reich, gibt wenig für sich aus.
Was Heirat und Fortbestand der Familie angeht, erfüllt Leonardo die Erwartungen. Er geht 1552 eine, bald von Kindern gesegnete Ehe mit Cassandra Ridolfi ein, die aus einer angesehenen Florentiner Patrizierfamilie stammt. Den Traum des würdigen Stammsitzes wird allerdings erst Leonardos Sohn, Michelangelo der Jüngere realisieren: die heutige Casa Buonarroti.
Die Beerdigung
Und Michelangelo will in Florenz, bei seinen Ahnen in der Franziskanerkirche begraben werden. Auch das geht aus verschiedenen Dokumenten, darunter dem Briefwechsel mit Leonardo, hervor. Als die Todesnachricht in Florenz eintrifft, macht sich Leonardo Buonarroti nach Rom auf, um das Erbe anzutreten und die Überführung seines Onkels zu veranlassen. Es mag sein, dass die große Popularität von Michelangelo in Rom Vorsicht bei der Ausführung der Überführung nahelegte, es mag aber auch sein dass die Verpackung sich aus praktischen Gründen als sinnvoll erwies; 12 Tage waren seit dem Tod Michelangelos vergangen, als sich der Zug auf den Weg nach Florenz machte. Nach 8 Tagen, am 10.3.1564 traf der Leichnam dann in Florenz ein, um, zuerst im Sitz der Bruderschaft der Maria Assunta aufgebahrt, zwei Tage später in S. Croce beigesetzt zu werden.
Familien-und Staatsakte um Michelangelo
Die grossartigen Trauer-Feierlichkeiten, die im Juli desselben Jahres in San Lorenzo ausgerichtet werden, das aufwendige Grabmal, das 1570 in Santa Croce eingeweiht wurde, kennzeichnen in aller wünschenswerten Klarheit, wie die Interessen der Familie Buonarroti von den Interessen des mediceischen Staates von Cosimo I. aufgenommen und aufgesogen wurden. Begleitet durch Geschenke von Werken Michelangelos (Zeichnungen, die Treppenmadonna, die ‚Gefangenen‘ ) wird Leonardo Buonarroti in den Senatorenstand aufsteigen und die Familie in Santa Croce eine Familienkapelle inklusive Vasari-Altartafel ihr eigen nennen; unmittelbar neben dem Grab des Ahnen, dessen Inschrift an erster Stelle nicht den Bildhauer, Maler und Architekten erwähnt, sondern seine Herkunft aus der „VETUSTA SIMONIORUM FAMILIA“.