‘Hitlers Fenster’
Auch in Florenz hat der zweite Weltkrieg schwere Wunden geschlagen. Zwar ist das Zentrum der Stadt von Bombenangriffen im Wesentlichen verschont geblieben, doch haben die deutschen Truppen im Rückzug verheerende Zerstörungen in der Nähe des Flusses angerichtet.
Alle Arnobrücken mit Ausnahme des Ponte Vecchio wurden im August 1944 in die Luft gejagt.
Für die Erhaltung der ältesten Brücke der Stadt hatten sich der deutsche Konsul Gerhard Wolf und sein Schweizer Kollege Carlo Steinhauslin zwar mit Erfolg einsetzen können, doch wurden, um den Zugang zur verminten Brücke zu blockieren, die Häuser an den Zubringerstraßen auf beiden Seiten des Arno gesprengt. Heute kennzeichnet eine unauffällige, anonyme 50/60er Jahre-Architektur diesen Teil der Stadt.
Ob bei der Entscheidung die Ponte Vecchio zu erhalten, wie manchmal zu hören ist, Hitler höchstpersönlich eine Rolle gespielt hat, ist sehr umstritten und sei dahingestellt; selten bezweifelt wird aber, dass Hitler, in gewissem Sinne, die Verantwortung für die heutige Erscheinung der Brücke oder besser, des sie überquerenden Vasarianischen Korridors trage.
1938, anlässlich des Staatsbesuches Hitlers im faschistischen Italien, seien, so lautet die simpelste Form dieser Geschichte, die drei großen, dreigeteilten Fenster, mit denen der Gang sich auf der Mitte der Brücke nach Westen hin öffnet, in das historische Mauerwerk gebrochen worden. Selbst im offiziellen Führer, der dem Korridor gewidmet ist, weiß man das mit Bestimmtheit und suggeriert, dass es geschah, um dem deutschen Gast, einen weiten Panorama-Blick zu gestatten: ‚Hitlers Fenster‘ eben.
1944 entstandene Fotoaufnahmen, welche die Zerstörungen in Florenz dokumentieren, zeigen allerdings keine Spur von den beiden seitlichen Fenster, während das mittlere deutlich zu erkennen ist, so dass davon auszugehen ist, dass sich die unselige Allianz noch mit einem Fenster begnügen musste.
Das für den Anlass geschaffen worden war ? – Zwar wird die Ponte Vecchio meist von der, für die Fenster-Frage unergiebigen, flussaufwärts liegenden Ost-Seite festgehalten, aber auch die andere Seite hat ihre Liebhaber unter Malern, Zeichnern und Fotografen gefunden. Gestützt auf eben solche Darstellungen, lässt sich auch diese Hypothese ausschliessen.
Das zentrale Fenster muss schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Licht der Welt gesehen haben.
Und es gibt auch, glaubt man dem Journalisten Marco Ferri, ein unmissverständliches Dokument, das sowohl genaues Datum wie Anlass verbürgt: einen Staatsbesuch, das wohl . . . – aber den des zukünftigen italienischen Königs Vittorio Emanuele II in der ehemaligen Hauptstadt des Großherzogtums der Toskana. Wir sind im April 1860, einen Monat nachdem die Toskana sich per Volksentscheid dem Königreich Sardinien-Piemont angeschlossen hatte.
Teil der Feierlichkeiten waren Feuerwerke, die auf der flussabwärts liegenden Ponte Santa Trinità gezündet wurden und denen der neue Monarch in einer Art Loge vom Korridor beiwohnte, in dem man zu diesem Zweck, so heißt es in der Quelle „ eine große Öffnung geschaffen hatte, deren Inneres wie ein prächtiger Saal wirkte, ganz mit roten Stoffen ausgekleidet und von Kerzen beleuchtet, wie er war . . . „
Bleibt die Frage, zu welchem Anlass – in der Nachkriegszeit – der ‚Herrscherblick’ zu seiner heutigen Breite ‚demokratisiert’ wurde …
Matthias Feldmann